Neues Urteil zu Coronahilfen
Die Coronakrise gehört glücklicherweise der Vergangenheit an. Die Aufarbeitung juristischer Fragen, die die COVID-19-Pandemie mit sich gebracht hat, ist dagegen noch längst nicht abgeschlossen. Allein die Fälle, mit denen sich selbst der Bundesgerichtshof bereits befasst hat, zeigen die Bandbreite der Themen, ebenso die folgenden Schlagzeilen aus der juristischen Datenbank juris: „Außerordentliche Kündigung eines Fitnessstudiovertrags: Pandemiebedingte Nutzungseinschränkungen als Kündigungsgrund“2, „Verlegung einer Hochzeit aufgrund pandemiebedingter Beschränkungen: Unmöglichkeit der fotografischen Begleitung der Hochzeit“3 oder etwa „Versicherungsschutz bei coronabedingter Betriebsschließung: Auslegung einer Klausel eines Betriebsschließungsversicherers“4.
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Neben derartigen nicht franchisespezifischen Fragen hat Corona Themen hervorgebracht, die speziell Franchisesysteme betreffen. So hatte sich im Zuge der Gewährung staatlicher Coronahilfen die Frage gestellt, ob solche Zahlungen als „Umsatz“ gelten, auf den von Franchisenehmern Franchisegebühren zu entrichten sind. Denn Franchiseverträge knüpfen die Franchisegebühr in der Regel an den „Nettoumsatz,“ den Franchisenehmer erzielen. Die „Praxishilfe Franchising in der Corona-Krise“5 des Deutschen Franchiseverbandes hatte sich auch mit dieser Frage beschäftigt und eher angezweifelt, dass staatliche Ersatzleistungen als „Umsatzsurrogate“ von den gängigen franchisevertraglichen Umsatzdefinitionen6 erfasst werden.6 Denn die bislang, also vor Corona, üblichen franchisevertraglichen Regelungen verstehen unter „Umsatz“ oft nur den aus dem „Verkauf der Vertragsprodukte und Vertragsdienstleistungen“. Von einer solchen Definition des Begriffs „Umsatz“ sind Umsatzsurrogate, namentlich staatliche Ersatzleistungen, nicht ohne Weiteres umfasst, es sei denn, der Franchisevertrag regelt in der betreffenden Klausel (oder an anderer Stelle), dass auch Umsatzsurrogate als „Umsatz“ gelten sollen.
Nunmehr hat sich mit dem Landgericht (LG) Osnabrück erstmals ein Gericht zu dieser Frage geäußert und es in dem konkreten Fall abgelehnt, staatliche Ersatzleistungen als „Umsatz“ im Sinne der franchisevertraglichen Gebührenregelung zu verstehen.
DR. TOM BILLING
Rechtsanwalt, Kanzlei Noerr Partnerschaftsgesellschaft mbB Rechtsanwälte Steuerberater Wirtschaftsprüfer, Berlin
Der Sachverhalt
Der auf Zahlung von Franchisegebühren klagende Franchisegeber betreibt ein Franchisesystem für Restaurants, die vornehmlich Flammkuchen anbieten. Laut Franchisevertrag hat der Franchisenehmer „drei Prozent seines monatlichen Netto-Umsatzes an den Franchisegeber zu zahlen, mindestens jedoch 750,00 €, beides zzgl. gesetzlicher Umsatzsteuer.“ Für November und Dezember 2020 erhielt der Franchisenehmer eine staatliche Überbrückungshilfe bzw. eine Wirtschaftshilfe in Höhe von 75 Prozent des Umsatzes des Vorjahresmonats. Der Franchisegeber ist der Ansicht, der Franchisenehmer schulde für November und Dezember 2020 nicht nur den Mindestgebührenbetrag von 750 Euro (den der Franchisenehmer unstreitig bezahlt hatte), sondern eine Franchisegebühr auf Basis des Nettoumsatzes, dem die gewährten Überbrückungshilfen zugrunde zu legen seien. Nachdem der Franchisegeber seine Klageforderung zunächst unzutreffend berechnet hatte, forderte er im Ergebnis eine Nachzahlung von 465,80 Euro. Sowohl das Amtsgericht (AG) Osnabrück in erster Instanz als auch das LG Osnabrück als Berufungsinstanz wiesen die Klage ab. Die Revision ließ das LG Osnabrück nicht zu.
Die Begründung des Landgerichts
Aus Sicht des LG Osnabrück stellen die Corona-Überbrückungshilfen keinen „Umsatz“ im Sinne des Franchisevertrags dar. Die Auslegung der vertraglichen Klausel, wonach eine monatliche Vergütung in Höhe von drei Prozent des monatlichen Nettoumsatzes, mindestens jedoch 750 Euro, geschuldet sei, richte sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte. Ob mit dem „Umsatz“ auch die Corona-Überbrückungshilfen gemeint sind, sei daher durch interessengerechte Auslegung des zu ermittelnden Parteiwillens bei Vertragsschluss je nach Einzelfall zu bestimmen.
Folge man dem Wortlaut des Vertragswerks, so seien die Überbrückungshilfen kein Umsatz im Sinne des Franchisevertrags. Der Nettoumsatz werde in § 6 Abs. 2 des Vertrags als die Summe aller Verkaufserlöse des Franchisebetriebs abzüglich der in Rechnung gestellten Umsatzsteuer definiert. Um Verkaufserlöse handele es sich bei den Überbrückungshilfen jedoch gerade nicht, da sie als staatliche Leistung keine Gegenleistung für einen Verkauf im Rahmen des Franchisebetriebs seien.
Vielmehr liege eine vertragliche Regelungslücke vor: Unabhängig davon, dass der Vertrag die Regelung einer Mindestzahlung von 750 Euro enthalte, treffe er keine Aussage darüber, wie staatliche Hilfsgelder auf den prozentual geregelten Vergütungsanspruch wirken sollen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sei in einem solchen Fall im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung zu ermitteln, ob die Parteien zur Erreichung ihres vertraglichen Regelungsplans eine ergänzende Abrede getroffen hätten und – falls dies der Fall sei – wie sie den Vertrag gestaltet hätten, wenn sie sich der Regelungslücke bewusst gewesen wären. Nach diesen Grundsätzen stand für das LG Osnabrück fest, dass die Parteien keine Regelung getroffen hätten, wonach die Vergütung des Franchisegebers durch die Corona-Überbrückungshilfen erhöht werden sollte.
Dagegen spricht aus Sicht des LG Osnabrück zum einen die dem Franchisegeber vertraglich zuste hende Mindestvergütung von 750 Euro, die dazu führe, dass der Franchisegeber auch während der Pandemiemonate eine adäquate Gegenleistung für seine Franchisegeberleistung erhalte. Damit fehle es an einer erheblichen Benachteiligung des Franchisegebers und der Notwendigkeit, die Regelungslücke mittels ergänzender Vertragsausfüllung zu schließen. Das Gegenargument des Franchisegebers, es handele sich dabei nur um eine „Mindestgebühr für den Betrieb“ und nicht um eine „faire Vergütung,“ ließ das LG Osnabrück nicht gelten. Die 750 Euro entsprächen auch objektiv dem Wert einer angemessenen Mindestvergütung. So sei die Mindestgebühr nur moderat unter dem angesiedelt gewesen, was der Franchisegeber anhand der Umsatzzahlen 2019 für die Monate November (1.751,13 Euro) und Dezember 2019 (861,37 Euro) an Franchisegebühren verlangen konnte.
Zur weiteren Begründung führt das LG Osnabrück aus, dass die Corona-Überbrückungshilfen – ihrem vom Gesetzgeber verfolgten Sinn und Zweck nach – nicht für die Vergütung des Franchisegebers bestimmt gewesen seien. Gegenstand der Überbrückungshilfen sei eine freiwillige Zahlung an Unternehmen, Soloselbstständige und selbstständige Angehörige der Freien Berufe, die aufgrund der coronabedingten Betriebsschließungen bzw. Betriebseinschränkungen erhebliche Umsatzausfälle erleiden. Durch Zahlungen als Beitrag zur Kompensation des Umsatzausfalls sollte ihre wirtschaftliche Existenz gesichert werden. Zum Kreis dieser potenziell in ihrer Existenz gefährdeten Unternehmen zähle der Franchisegeber nicht. Seine eigenen laufenden Kosten (z. B. Miete) könne der Franchisegeber aus der Mindestgebühr bestreiten.
Stellungnahme
Die Entscheidung des LG Osnabrück ist nachvollziehbar, ihre Begründung überzeugt dagegen nicht durchweg. Franchisegeber, die sich auf ihre Tätigkeit als Franchisezentrale konzentrieren und nur wenige eigene (Regie-)Betriebe unterhalten, waren von dem plötzlichen Ausbleiben von Franchisegebühren in der Regel nicht unerheblich getroffen. Das gilt umso mehr, als die Vereinbarung einer Mindestgebühr zwar durchaus vorkommt, aber weit davon entfernt ist, quasi Standardpraxis zu sein. Mit anderen Worten: Es gibt viele Franchisegeber, die eine solche Mindestgebühr nicht vereinnahmen. Im Hinblick auf solche Franchisesysteme wirkt das vom LG Osnabrück gezeichnete Bild – hier der quasi bedürftige Franchisenehmer, dort der gleichsam gut versorgte Franchisegeber – etwas sehr holzschnittartig bzw. zu wenig differenzierend. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Systemzentralen ihre Leistungen für die Franchisenehmer in der Pandemie nicht etwa heruntergefahren oder gar eingestellt, sondern in der Regel intensiviert haben, z. B. durch die systemeinheitliche Organisation von Hygienemaßnahmen oder in Form von Handreichungen für die Franchisenehmer zur Wahrnehmung staatlicher Unterstützungsmaßnahmen. Das alles kostete auch aufseiten der Franchisegeber Geld, weshalb das Bedürfnis nach einer angemessenen Vergütung der Systemzentralen auf der Hand liegt.
Freilich hatte das LG Osnabrück nur über „seinen“ Fall zu entscheiden und damit über eine Konstellation, in der der Franchisegeber eine Mindestgebühr erhält, die sich noch dazu mitunter recht nahe an der Höhe der Franchisegebühr in Vor-Coronazeiten bewegte. Es ging somit gerade nicht um die Situation, in der ein Franchisegeber Leistungen erbringt, dafür aber überhaupt nicht vergütet wird. Jedoch ist es genau diese Situation, die in der maßgeblichen Zeit wohl vergleichsweise häufiger vorkam und die in rechtlicher Hinsicht deshalb der interessantere – man könnte auch sagen: der bessere – Fall gewesen wäre, um über die Frage zu entscheiden, ob staatliche Corona-Überbrückungshilfen als „Umsatz“ im Sinne des Franchisevertrags gelten. Bei aller Zustimmung zu dem Ergebnis der Entscheidung des LG Osnabrück liegt deshalb auch der folgende zusammenfassende Kommentar nicht fern: „Bad cases make bad law.“
Quellen
1 Veröffentlicht bei BeckRS 2023, 13379;
2 BGH, Urt. v. 19.04.2023, Az. XII ZR 24/22, juris;
3 BGH, Urt. v. 27.04.2023, Az. VII ZR 144/22, juris;
4 BGH, Urt. v. 18.01.2023, Az. IV ZR 465/21, juris;
5 letzte Aktualisierung: 10.5.2022, www.franchiseverband.com/blog/wp-content/uploads/2022/05/Praxisleitfaden_Franchiserecht-in-der-Coronakrise_10_05_2022.pdf
6 Siehe Leitfaden Seite 5 ff., https://avr-emags.de/emags/Franchise-Connect/franchise-connect032023/
7 Zumindest, was veröffentlichte Entscheidungen betrifft.