Jeder tut was er gut kann
Alles begann mit einer Idee, die manche für verrückt, andere für riskant hielten. Nach mittlerweile 20 Jahren ist daraus eine Erfolgsgeschichte geworden, in der es viele Gewinner gibt. Aber der Reihe nach: Als in der Baden-Württembergischen Kreisstadt Herrenberg im Frühjahr 1999 der letzte örtliche Lebensmitteldiscounter kurz vor der Schließung stand, waren rund 4 000 Anwohner im Stadtteil Ziegelfeld alarmiert. Zwar hatte der Markt gute Ergebnisse erwirtschaftet, die hoch gesteckten Umsatzerwartungen der Konzernzentrale aber verfehlt. Ein Beispiel von vielen dafür, wie durch die Abwanderung von Unternehmen in Einkaufscenter und Gewerbeparks die Nahversorgung mit Lebensmitteln für viele Menschen plötzlich sehr aufwendig und kompliziert wird.
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Eine Idee, zwei gute Absichten
In Herrenberg war das die Geburtsstunde einer Vision: Rainer Knapp, damals Geschäftsführer der Gemeinnützigen Werkstätten und Wohnstätten GmbH (GWW), wohnte selbst am Ort. In seiner beruflichen Funktion war er stetig auf der Suche nach geeigneten Beschäftigungsfeldern für Menschen mit Behinderung. Nun ging es zudem um die Versorgung der Anwohner mit Lebensmitteln in fußläufiger Entfernung. Er traf die Entscheidung, über die Femos gGmbH, das Integrationsunternehmen der GWW, einen eigenen Lebensmittelmarkt zu betreiben, der geeignete und regulär tariflich bezahlte Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung schaffen würde – die Grundidee stand, der Name sollte sie verdeutlichen: CAP … der Lebensmittelpunkt. CAP steht für Handicap, der Lebensmittelpunkt zum einen für den Arbeitsplatz, den die Märkte vielen bieten, zum anderen aber auch dafür, dass Kunden dort ein bedarfs- und standortgerechtes Lebensmittelsortiment von rund 8 000 Artikeln des Hauptlieferanten EDEKA in guter Qualität und Frische vorfinden – dauerhaft. Dem gemeinnützigen Unternehmen ist der langfristige Erhalt der Arbeitsplätze wichtiger als Umsatz- und Gewinnmaximierung.
Vollsortimenter und Dienstleister
In den CAP-Supermärkten werden bis zu 50 Prozent aller Arbeitsstellen von Menschen mit Behinderung besetzt. Sie arbeiten auf Positionen, die genau ihren Fähigkeiten entsprechen So leisten sie verantwortungsvolle und qualitativ hochwertige Arbeit. Und die Kunden? Sie erleben Normalität. Oft bemerken sie es nicht einmal, dass hier irgendetwas anders ist – und das ist gut so. Die CAP-Märkte sind Vollsortimenter und Dienstleister aus Leidenschaft, Lieferservice, barrierefreies und begleitetes Einkaufen inklusive.
Nach der Eröffnung des ersten Marktes in Herrenberg im Oktober 1999 kamen bald Anfragen aus benachbarten Gemeinden, die Idee setzte sich durch. Inzwischen hat die für die Koordination übergreifen- der Projekte zuständige Genossenschaft der Werkstätten, gdw süd, das Konzept übernommen und zum Social Franchising Project weiterentwickelt – durchaus erfolgreich. Inzwischen gibt es bundesweit über 100 CAP-Märkte in fast allen Bundesländern, in denen nahezu 1 400 Mitarbeiter, davon rund 800 mit Behinderung, einen neuen Arbeitsplatz gefunden haben. Betrieben werden sie übrigens ausschließlich in sozialer oder kommunaler Trägerschaft.
Eine gute Sache
Die gdw süd ist ein Zusammenschluss anerkannter Einrichtungen der Behin dertenarbeit mit mehr als 30 000 Mitarbeitenden an mehr als 270 Werkstattstandorten in Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und im Saarland. Für diese Menschen schafft und sichert sie langfristige und zukunftsorientierte Arbeitsplätze. Darüber hinaus konzipiert sie Kooperations- und Franchiseprojekte, die sich am Bedarf der Endverbraucher orientieren und die bundesweit mit Sozialunternehmen als Partner realisiert werden. So versetzt die gdw süd Partnerunternehmen in die Lage, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu schaffen und auch dauerhaft zu erhalten. Menschen mit Behinderung erhalten so nicht nur die Chance, mehr wirtschaftliche Selbstständigkeit zu erreichen, sondern auch die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – mit allem, was dazu gehört: sozialer Anerkennung und der Nutzung der eigenen vorhandenen Potenziale.