Missbrauch der Marktmacht

Vor Gericht ging es um kartellrechtswidrige Vertragsbedingungen und Vergütungssysteme.

Der österreichische Oberste Gerichtshof (OGH) konkretisiert in seinem Beschluss vom 17. Februar 2021 (Az. 16 Ok 4/20d) die Voraussetzungen der relativen Marktmacht eines Systemgebers gegenüber seinen Vertriebsmittlern und des Missbrauchs dieser Marktmacht durch die von ihm angewendeten ­ Vertragsbedingungen.

Der Hintergrund

Vertriebssysteme haben bei der Gestaltung ihrer Verträge und der Vertriebspraxis die Vorgaben des Kartellrechts zu beachten. Dies ist von zentraler Bedeutung, da kartellrechtswidrige Praktiken zur Unwirksamkeit von Verträgen sowie zu Schadensersatzpflichten und Bußgeldern führen können. Einerseits ist das Verbot von Vereinbarungen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (§ 1 GWB, Art. 101 AEUV), zu beachten. Die Grenzen dieses sog. Kartellverbotes werden für Vertriebssysteme durch die Vertikal-GVO (Verordnung (EU) Nr. 330/2010) näher definiert.

Neben dem Kartellverbot ergeben sich unter Umständen weitere Beschränkungen aufgrund der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle (§§ 19 ff. GWB, Art. 102 AEUV). Bei Franchisesystemen kommt in diesem Zusammenhang insbesondere eine relative Marktmacht des Franchisegebers gegenüber seinen Franchisenehmern in Betracht (§ 20 Abs. 1 GWB). Diese führt zu einer eingeschränkten Missbrauchskontrolle: Es gilt dann das Verbot der unbilligen Behinderung und der Diskriminierung der Franchisenehmer (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB).

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Der OGH befasst sich in seiner Entscheidung mit dem Missbrauch der relativen Marktmacht durch den österreichischen Generalimporteur des Automobilherstellers PSA gegenüber seinen Vertragshändlern. Die Entscheidung ist auch für Franchisesysteme in Deutschland von grundsätzlicher Bedeutung.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Gericht stellt zunächst fest, dass der Generalimporteur über eine relative Marktmacht im Sinne von § 4 Abs. 3 österreichisches Kartellgesetz (KartG) gegenüber dem Vertragshändler verfüge. Hierfür bedürfe es keiner bestimmten Marktanteilsschwelle des Generalimporteurs. Entscheidend sei allein, dass dieser im Verhältnis zum Händler eine überragende Marktstellung habe. Dies sei der Fall, da für den Händler, der ca. 68 Prozent der von ihm vertriebenen Fahrzeuge vom Generalimporteur bezog, ein Wechsel mit schwerwiegenden betriebswirtschaftlichen Nachteilen verbunden sei. Der Generalimporteur unterliege daher den Beschränkungen des kartellrechtlichen Missbrauchsverbots. Missbräuchlich und damit einzustellen seien insbesondere die folgenden Praktiken:

  • Koppelung der Einkaufskonditionen an das Ergebnis von Kundenzufriedenheitsbefragungen

  • Koppelung der Einkaufskonditionen an das Erreichen unrealistischer Verkaufsziele

  • Gewährung missbräuchlich niedriger Verkaufspreise eines mit dem Generalimporteur konzernverbundenen Händlers, die durch eine Deckung der Verluste dieses Händlers durch den Generalimporteur ermöglicht werden

  • Überbürdung der Kosten für Mystery-Shopping-Aktionen auf den Händler im Rahmen von Schulungskosten

Neben diesen für den Generalimporteur ungünstigen Punkten hat das Gericht auch entschieden, dass die für den Händler verbindlichen Verkaufsförderungsaktionen nicht allein deshalb missbräuchlich seien, da diese faktisch ganzjährig durchzuführen sind.

Bedeutung für Franchisesysteme in Deutschland

Die vom OGH für Vertragshändler getroffenen Feststellungen lassen sich – wie allgemein – auf Franchisenehmer übertragen. Die Entscheidung ist trotz der Anwendbarkeit des österreichischen Kartellrechts auch für Deutschland relevant. Die für Österreich in § 4 Abs. 3 KartG normierte relative Marktmacht entspricht inhaltlich weitgehend § 20 Abs. 1 des deutschen GWB. Die Begründung des OGH zur Missbräuchlichkeit der Konditionen erfolgt zudem unter Heranziehung des europäischen Kartellrechts. Während die Feststellungen zur Koppelung der Einkaufskonditionen an das Ergebnis von Kundenbefragungen oder das Erreichen bestimmter Verkaufsziele insbesondere im Warenfranchising relevant sind, gelten andere Aspekte des Beschlusses unabhängig vom jeweiligen Geschäftsgegenstand. Dazu gehören die Überbürdung der Kosten von Mystery-Shopping-Aktionen und die Konkurrenz durch Eigenbetriebe, welche aufgrund der Unterstützung des Systemgebers nicht wirtschaftlich arbeiten müssen.

Von allgemeiner Bedeutung sind auch die Feststellungen zur relativen Marktmacht und damit zur Eröffnung des Anwendungsbereichs der Missbrauchskontrolle. Insbesondere bei investitionsintensiven Systemen liegt der Gedanke nahe, dass ein Wechsel des Franchisenehmers mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten verbunden wäre, was nach Auffassung des OGH für eine relative Marktmacht spricht.

Zuvor hatten sich bereits der BGH (Beschluss vom 11.11.2008, Az. KVR 17/08) sowie das OLG Düsseldorf (Urteil vom 6.4.2011, Az. VI-U (Kart) 26/10; Urteil vom 15.10.2014, Az. VI-U (Kart) 4/14) und das OLG München (Urteil vom 7.11.2019, Az. 29 U 4165/18 Kart) hiermit befasst. Im Ergebnis hatten sie jedoch entweder bereits eine relative Marktmacht oder jedenfalls eine missbräuchliche Verhaltensweise des Franchisegebers abgelehnt. Die Entscheidung des OGH weist in eine andere Richtung und zeigt, dass Franchisegeber die sich aus der Missbrauchskontrolle ergebenden Einschränkungen weiter im Blick behalten sollten.

Positiv für Franchisegeber ist, dass der OGH die jüngere deutsche Rechtsprechung (OLG München, s. o.) in Bezug auf zeitlich unbegrenzte Verkaufsförderaktionen bestätigt und hierin nicht per se ein Problem sieht.

DR. HENNING LIESEGANG

Der Rechtsanwalt ist Partner der Kanzlei LADM Liesegang Aymans Decker Mittelstaedt & Partner mbB, Wuppertal.

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