Unternehmen sollen mutiger werden

CARSTEN RASNER, Bundesverband Digitale Wirtschaft, im Interview mit Antje Katrin Piel

Wenn wir von Digitalkompetenz sprechen, dann bezieht sich das oft noch auf Hardware und Software: Welche Infrastruktur ist vorhanden, welche Tools werden eingesetzt? Dabei geht es längst um mehr, eigentlich nämlich um Datenkompetenz, also die Fähigkeit, Daten zu sammeln, zu analysieren und zu interpretieren, um fundierte Entscheidungen treffen zu können. Indem zurzeit alle von Generativer Künstlicher Intelligenz (KI) reden, wäre es wichtig, zu verstehen, auf welcher Basis diese „Intelligenz“ arbeitet und weshalb sie Ergebnisse produziert. Für Unternehmen bedeutet Datenkompetenz aber auch, wettbewerbsfähig zu bleiben, ihre Innovationskraft zu stärken, effizienter und effektiver zu werden, Bedürfnisse besser zu verstehen und zu adressieren. Unter diesen Gesichtspunkten ist noch ordentlich Luft nach oben, so Carsten Rasner im Interview.

Herr Rasner, wie beurteilen Sie die Digitalkompetenz von Unternehmen in Deutschland?

Carsten Rasner (C.R.): Es ist besser und schlimmer, als die meisten denken oder gar behaupten: Einerseits ist Deutschland noch immer das Land der Hidden Champions, und es gibt gesamtwirtschaftlich betrachtet nach zwei Dekaden der digitalen Transformation noch zahlreiche Weltmarktführer. Wir stehen also besser da, als viele erwartet hatten. Andererseits müssen wir uns ehrlich machen. Der Winterspeck, den sich Deutschland in früheren Jahrzehnten zugelegt hat, ist aufgebraucht. Als Land, das Exportweltmeister ist und weiterhin sein will, sind wir digital zu weit abgehängt.

Woran liegt das?

C.R.: Das ist zum einen auf eine sehr deutsche Haltung zurückzuführen, die Risikoaversion. Neues birgt eben nicht nur Chancen, sondern auch Unsicherheiten. Grundsätzlich können wir mit Risiken sehr gut umgehen, solange sie beherrschbar sind. Die Digitalisierung und die damit verbundenen Technologien aber erweitern das Spielfeld und beschleunigen das Spiel, was uns Deutsche oft überfordert: Frühere Denkmuster funktionieren nicht mehr. Wir können nicht mehr lange im stillen Kämmerlein herumprobieren, bis wir nach draußen gehen. Zeit ist ein entscheidender Faktor geworden, auch für die Herangehensweise an Projekte, Geschäftsideen und Herausforderungen.

Besteht aus Ihrer Sicht Handlungsbedarf?

C.R.: Es wäre jetzt zu einfach, nur Ja zu sagen. Gegenfrage: Reicht es noch, jetzt nur zu handeln? Nein, denn vor dem Handeln kommt das Denken, und das müssen wir ändern, um die Kurve noch zu kriegen. Im Zusammenhang mit dem Begriff „Daten“ denken wir nicht zuerst „gut“, „nutzen“ oder „wichtig“ – sondern „Schutz“, also restriktiv-negativ. Da müssen wir ansetzen. Wir müssen lernen, Chancen zu sehen, um ins Handeln zu kommen.

Wo würden Sie ansetzen?

C.R.: Ich sehe hier drei Handlungsfelder, meine drei Bs: Das erste ist die Bildung und betrifft die Schulen, wo der Erwerb von Digital- und Datenkompetenz auch mehr als dreißig Jahre nach dem Start des ersten kommerziellen Internetproviders noch sträflich vernachlässigt wird. Hier zu handeln, schafft die Basis für die Zukunft. Nur wenn wir in die Menschen investieren, wollen sie Teil der Veränderung sein. Das zeigt sich auch bei der aktuellen KI-Debatte. Selbst von den digital Arbeitenden freut sich nur jeder Vierte auf die Veränderungen, wie eine BVDW-Befragung ergab. Wir müssen sie mitnehmen und weiterbilden.
Das zweite B ist die Beschleunigung. Dabei geht es mir um Prozesse, aber auch um den falschen Vorsatz, immer alles perfekt machen zu wollen. Daran scheitert oftmals der Aufbau von Digitalkompetenz.
Und das dritte ist die Bereitschaft – mit starkem Bezug auf Unternehmen. Dabei geht es einerseits um den Willen und die Fähigkeit, eine helfende Aufgabe zu übernehmen, andererseits darum, bereit für den Aufbruch zu sein. Beides müssen wir stärker forcieren. Unternehmen sollten mutiger werden, Innovation ermöglichen und neue Wege beschreiten, wann immer es sich ergibt.

Wie steht Deutschland im EU-Vergleich da?

C.R.: Deutschland hat sich in den wirtschaftspolitischen Unsicherheiten der vergangenen drei bis fünf Jahre von Europa entkoppelt und ist 2023 wirtschaftlich in eine Rezession gerutscht. Auch Brüssel bescheinigte uns im vergangenen Jahr als einzigem EU-Mitgliedsstaat Nachholbedarf bei digitaler Infrastruktur und Marktfähigkeit – ein Standortnachteil. Hinzu kommt unser besonderes Verständnis für Aufsicht, insbesondere beim Datenschutz. In unserem föderalen System interpretiert jede Behörde die DSGVO anders. Wir hören täglich Klagen darüber. Wenn Unternehmen darüber nachdenken, wegen dieser Auffassungen innerhalb Deutschlands umzusiedeln, ist das schon makaber.

Haben Sie konkrete Lösungsansätze?

C.R.: Deutschland hat schon mehr als einmal strukturelle Herausforderungen gemeistert. Start-ups sprechen gern über ihre „Pivots“ und genau so einen Drehpunkt brauchen wir jetzt, einen, der unsere gesamte Vorstellungskraft, Anstrengung und kollektive Zusammenarbeit erfordert. Dabei geht es nicht um körperliche Anstrengung, sondern um geistige. Wir müssen unsere Angst vor Daten überwinden, sie nicht als toxischen Treibstoff, sondern als nachhaltiges Fundament der Wettbewerbsfähigkeit sehen. Die Politik schafft Rahmenbedingungen, mit denen wir Daten endlich sicher nutzen können. Sie schafft eine neue Balance zwischen dem Schutz von Daten und ihrem Potenzial, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mehrwert zu finden. Mein Lösungsansatz: diese neuen Rahmenbedingungen nutzen.

Carsten Rasner, Profilbild
Carsten Rasner

Geschäftsführender Vorstand des Bundesverband Digitale Wirtschaft e. V

bvdw.org

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